Für die eben besprochenen Versuche wurden Pflanzen verwendet, welche nur in einem wesentlichen Merkma1e verschieden waren. Die nächste Aufgabe bestand darin, zu untersuchen, ob das gefundene Entwicklungs-Gesetz auch dann für je zwei differirende Merkmale gelte, wenn mehrere verschiedene Charactere durch Befruchtung in der Hybride vereinigt sind.
Was die Gestalt der Hybriden in diesem Falle anbelangt, zeigten die Versuche übereinstimmend, dass dieselbe stets jener der beiden Stammpflanzen näher steht, welche die grössere ,Anzahl von dominirenden Merkmalen besitzt. Hat z. B. die Samenpflanze eine kurze Axe, endständige weisse Blüthen und einfach gewölbte Hü1sen; die Pollenpflanze hingegen eine lange Axe, axenständige violett-rothe Blüthen und eingeschnürte Hülsen, so erinnert die Hybride nur durch die Hülsenform an die Samenpflanze, in den übrigen Merkmalen stimmt sie mit der Pollenpflanze überein. Besitzt eine der beiden Stammarten nur dominirende Merkmale, dann ist die Hybride von derselben kaum oder gar nicht zu unterscheiden.
Mit einer grösseren Anzahl Pflanzen wurden zwei Versuche durchgeführt. Bei dem ersten Versuche waren die Stammpflanzen in der Gestalt der Samen und in der Färbung des Albumens verschieden; bei dem zweiten in der Gestalt der Samen in der Färbung des Albumens und in der Farbe der Samenschale. Versuche mit Samen-Merkmalen führen am einfachsten und sichersten zum Ziele.
Um eine leichtere Uebersicht zu gewinnen, werden bei diesen Versuchen die differirenden Merkmale der Samenpflanze mit A, B, C, jene der Pollenpflanze mit a, b, c und die Hybridformen dieser Merkmale mit Aa, Bb Cc bezeichnet.
Erster Versuch: AB Samenpflanze, ab Pollenpflanze, A Gestalt rund a Gestalt kantig B Albumen gelb b Albumen grünDie befruchteten Samen erschienen rund und gelb, jenen der Samenpflanze ähnlich. Die daraus gezogenen Pflanzen gaben Samen von viererlei Art, welche oft gemeinschaftlich in einer Hülse lagen. Im Ganzen wurden von 15 Pflanzen 556 Samen erhalten, von diesen waren:
38 runde gelbe Samen .......................................AB
65 runde gelbe und grüne Samen.........................ABb
60 runde gelbe und kantige gelbe Samen......................AaB
138 runde gelbe und grüne, kautige gelbe und grüne Samen.AaBb
Von den kantigen gelben Samen kamen 96 Pflanzen zur Fruchtbildung, wovon
Die Nachkommen der Hybriden erscheinen demnach unter 9 verschiedenen Formen und zum Theile in sehr ungleicher Anzahl. Man erhält, wenn dieselben zusammengestellt und geordnet werden:
38 Pflanzen mit der Bezeichnung AB. 35 " " Ab. 28 " " ab. 30 " " ab. 65 " " ABb. 68 " " aBb. 60 " " Aab. 67 " " Aab. 138 " " AaBb.Sämmtliche Formen lassen sich in 3 wesentlich verschiedene Abtheilungen bringen. Die erste umfasst jene mit der Bezeichnung AB, Ab, aB, ab; sie besitzen nur constante Merkmale und ändern sich in den nächsten Generationen nicht mehr. Jede dieser Formen ist durchschnittlich 33mal vertreten. Die zweite Gruppe enthält die Formen ABb, aBb, AaB, Aab; diese sind in einem Merkmale constant, in dem anderen Hybrid, und variiren in der nächsten Generation nur hinsichtlich des Hybriden Merkmales. Jede davon erscheint im Durchschnitte 65mal. Die Form AaBb kommt 138mal vor, ist in beiden Merkmalen Hybrid, und verhält sich genau so, wie die Hybride, von der sie abstammt.
Vergleicht man die Anzahl, in welcher die Formen dieser Abtheilungen vorkommen, so sind die Durchschnitts-Verhältnisse 1:2:4 nicht zu verkennen. Die Zahlen 33, 65, 138 geben ganz günstige Annäherungswerthe an die Verhältnissizahlen 33, 66, 132.
Die Entwicklungsreihe besteht demnach aus 9 Gliedern. 4 davon kommen in derselben je einmal vor und sind in beiden Merkmalen constant; die Formen AB, ab, gleichen den Stammarten, die beiden anderen stellen die ausserdem noch möglichen constanten Combinationen zwischen den verbundenen Merkmalen A, a, B, b vor. Vier Glieder kommen je zweimal vor und sind in einem Merkmale constant, in dem anderen Hybrid. Ein Glied tritt viermal auf und ist in beiden Merkmalen hybrid. Daher entwickeln sich die Nachkommen der Hybriden, wenn in denselben zweierlei differirende Merkmale verbunden sind, nach dem Ausdrucke:
AB + Ab + aB + ab + 2ABb + 2aBb + 2AaB + 2Aab + 4AaBb.Diese Entwicklungsreihe ist unbestritten eine Combinationsreihe, in welcher die beiden Entwicklungsreihen für die Merkmale A und a, B und b gliedweise verbunden sind. Man erhält die Glieder der Reihe vollzählig durch die Combinirung der Ausdrücke:
A + 2Aa + a B + 2Bb + b
Zweiter Versuch: ABC Samenpflanze, abc Pollenpflanze, A Gestalt rund a Gestalt kantig B Albumen gelb b Albumen grün C Schale graubraun c Schale weiss
Dieser Versuch wurde in ganz ähnlicher Weise wie der vorangehende durchgeführt. Er nahm unter allen Versuchen die meiste Zeit und Mühe in Anspruch. Von 24 Hybriden wurden im Ganzen 687 Samen erhalten, welche sämmtlich punctirt, graubraun oder graugrün gefärbt, rund oder kantig waren. Davon kamen im folgenden Jahre 639 Pflanzen zur Fruchtbildung, und wie die weiteren Untersuchungen zeigten, befanden sich darunter:
8 Pflanzen ABC 22 Pflanzen ABCc 45 Pflanzen ABbCc 14 " ABc 17 " AbCc 36 " aBbCc 9 " AbC 25 " aBCc 38 " AaBCc 11 " Abc 20 " abCc 40 " AabCc 8 " aBC 15 " ABbC 49 " AaBbC 10 " aBc 18 " ABbc 48 " AaBbc 10 " abC 19 " aBbC 7 " abc 24 " aBbc 14 " AaBC 78 " AaBbCc 18 " AaBc 20 " AabC 16 " Aabc
Die Entwicklungsreihe umfasst 27 Glieder. Davon sind 8 in allen Merkmalen constant, und jede kommt durchschnittlich 10mal vor; 12 sind in zwei Merkmalen constant, in dem dritten Hybrid, jede erscheint im Durchschnitte 19mal; 6 sind in einem Merkmale constant, in den beiden anderen Hybrid, jede davon tritt durchschnittlich 43mal auf; eine Form kommt 78mal vor und ist in sämmtlichen Merkmalen Hybrid. Die Verhältnisse 10:19:43:78 kommen den Verhältnissen 10:20:40:80 oder 1:2:4:8 so nahe, dass letztere ohne Zweifel die richtigen Werthe darstellen.
Die Entwicklung der Hybriden, wenn ihre Stammarten in 3 Merkmalen verschieden sind, erfolgt daher nach dem Ausdrucke:
ABC + ABc + AbC + Abc + aBC + aBc + abC + abc + 2ABCc + 2AbCc + 2aBCc + 2abCc + 2ABbC + 2ABbc + 2aBbC + 2aBbc + 2AaBC + 2AaBc + 2AabC + 2Aabc + 4ABbCc + 4aBbCc + 4AaBCc + 4AabCc + 4AaBbC + 4AaBbc + 8AaBbCc.Auch hier liegt eine Combinationsreihe vor, in welcher die Entwicklungsreihe für die Merkmale A und a, B und b, C und c mit einander verbunden sind. Die Ausdrücke:
A + 2Aa + a B + 2Bb + b C + 2Cc + cgeben sämmtliche Glieder der Reihe. Die constanten Verbindungen, welche in derselben vorkommen, entsprechen allen Combinationen, welche zwischen den Merkmalen A, B, C, a, b, c möglich sind; zwei davon, ABC und abc gleichen den beiden Stammpflanzen.
Ausserdem wurden noch mehrere Experimente mit einer geringeren Anzahl Versuchspflanzen durchgeführt, bei welchen die übrigen Merkmale zu zwei und drei Hybrid verbunden waren; alle lieferten annähernd gleiche Resultate. Es unterliegt daher keinem Zweifel, dass für sämmtliche in die Versuche aufgenommenen Merkmale der Satz Giltigkeit habe: die Nachkommen der Hybriden, in welchen mehrere wesentlich verschiedene Merkmale vereinigt sind, stellen die Glieder einer Combinationsreihe vor, in welchen die Entwicklungsreihen für je zwei differirende Merkmale verbunden sind. Damit ist zugleich erwiesen, dass das Verhalten je zweier differirender Merkmale in Hybrider Verbindung unabhängig ist von den anderweitigen Unterschieden an den beiden Stammpflanzen.
Bezeichnet n die Anzahl der characteristischen Unterschiede an den beiden Stammpflanzen, so gibt 3En die Gliederzahl der Combinationsreihe, 4En die Anzahl der Individuen, welche in die Reihe gehören, und 2En die Zahl der Verbindungen, welche constant bleiben. So enthält z. B. die Reihe, wenn die Stammarten in 4 Merkmalen verschieden sind, 3E4 = 81 Glieder, 4E4 = 256 individuen und 2E4 = 16 constante Formen; oder was dasselbe ist, unter je 256 Nachkommen der Hybriden gibt es 81 verschiedene Verbindungen, von denen 16 constant sind.
Alle constanten Verbindungen, welche bei Pisum durch Combinirung der angeführten 7 characteristischen Merkmale möglich sind, wurden durch wiederhorte Kreuzung auch wirklich erhalten. Ihre Zahl ist durch 2E7 = 128 gegeben. Damit ist zugleich der factische Beweis geliefert, dass constante Merkmale, welche an verschiedenen Formen einer Pflanzensippe vorkommen, auf dem Wege der wiederholten künstlichen Befruchtung in alle Verbindungen treten können, welche nach den Regeln der Combination möglich sind.
Ueber die Blüthezeit der Hybriden sind die Versuche noch nicht abgeschlossen. So viel kann indessen schon angegeben werden, dass dieselbe fast genau in der Mitte zwischen jener der Samen- und Pollenpflanze steht, und die Entwicklung der Hybriden bezüglich dieses Merkmales wahrscheinlich in der nämlichen Weise erfolgt, wie es für die übrigen Merkmale der Fall ist. Die Formen, welche für Versuche dieser Art gewählt werden, müssen in der mittleren Blüthezeit wenigstens um 20 Tage verschieden sein; ferner ist nothwendig, dass die Samen beim Anbaue alle gleich tief in die Erde versenkt werden, um ein gleichzeitiges Keimen zu erzielen, dass ferner während der ganzen Blüthezeit grössere Schwankungen in der Temperatur und die dadurch bewirkte theilweise Beschleunigung oder Verzögerung des Aufblühens in Rechnung gezogen werden. Man sieht, dass dieser Versuch mancherlei Schwierigkeiten zu überwinden hat und grosse Aufmerksamkeit erfordert.
Versuchen wir die gewonnenen Resultate kurz zusammenzufassen, so finden wir, dass jene differirenden Merkmale, welche an den Versuchspflanzen eine leichte und sichere Unterscheidung zulassen, in Hybrider Vereinigung ein völlig übereinstimmendes Verhalten beobachten. Die Nachkommen der Hybriden je zweier differirender Merkmale sind zur Hälfte wieder Hybriden, während die andere Hälfte zu gleichen Theilen mit dem Character der Samen- und Pollenpflanze constant wird. Sind mehrere differirende Merkmale durch Befruchtung in einer Hybride vereinigt, so bilden die Nachkommen derselben die Glieder einer Combinationsreihe, in welcher die Entwicklungsreihen für je zwei differirende Merkmale vereinigt sind.
Die vollkommene Uebereinstimmung, welche sämmtliche, dem Versuche unterzogenen Charactere zeigen, erlaubt wohl und rechtfertigt die Annahme, dass auch ein gleiches Verhalten den übrigen Merkmalen zukomme, welche weniger scharf an den Pflanzen hervortreten, und desshalb in die Einzel-Versuche nicht aufgenommen werden konnten. Ein Experiment über Blüthenstiele von verschiedener Länge gab im Ganzen ein ziemlich befriedigendes Resultat, obgleich die Unterscheidung und Einreihung der Formen nicht mit jener Sicherheit erfolgen konnte, welche für correcte Versuche unerlässlich ist.